Ich benutze nicht gern das Wort Gier, aber das war es wohl

Spiritualität & Glaube

Die Anlageberaterin und Direktorin einer Münchener Privatbank, Anne Katrin Halvorsen, bekennt sich zum Christentum. Dessen Werte haben eine große Nähe zu denen eines »ehrbaren Kaufmanns«, sagt sie. Doch in der Finanzkrise kamen ihr Zweifel am Gebaren der Banken. 

Interview Christiane Langrock-Köge! Fotos Melina Mörsdorf

Frau Halvorsen, Sie arbeiten in Hamburg als Direktorin einer Münchener Privatbank – und gehen jeden Tag mit sehr viel Geld um. Was für ein Verhältnis haben Sie zu Vermögen und Finanzen? 

Beruflich natürlich ein sehr intensives. Mein Arbeitsalltag dreht sich um Aufbau, Erhalt und die Vermehrung von Geld. Privat sehe ich es als Anerkennung meiner Leistung, mehr nicht - es ist nicht gleichzusetzen mit Glück. Geld kann dazu dienen, Freude zu bereiten, zum Beispiel, wenn ich es für einen lang erträumten Urlaub ausgebe oder mit ihm ein gutes Projekt fördern kann. 

Sie sind seit mehr als 20 Jahren Anlageberaterin. Und gläubige Christin. Sind das Gegensätze? 

Ganz und gar nicht. Die Finanzmärkte sind viel komplexer geworden, von der Schnelligkeit des Marktes bis zum großen Angebot an Produkten. Da bin ich als Ratgeberin und häufig auch als Problemlöserin gefragt. Weil ich offen und ehrlich mit meinen Kunden umgehe, lässt sich meine Arbeit gut mit meiner christlichen Grundeinstellung vereinen.

Wie kamen Sie zu Ihrem Glauben? 

Ganz klassisch durch meine Familie. Ich komme aus Dithmarschen in Schleswig-Holstein und bin evangelisch-freikirchlich aufgewachsen. Als ich nach Hamburg zog, bin ich dann in die evangelische Kirche eingetreten. Da war ich 25. Der Pastor fragte mich als Erstes: Und wann wollen Sie heiraten? Aber darum ging es mir überhaupt nicht. Ich hatte damals noch nicht einmal einen Freund.

Sie sind eingetreten in einem Alter, in dem andere austreten. 

Ich könnte mir kein Leben ohne Glauben vorstellen - und der Eintritt in die Kirche bedeutete für mich eine noch höhere Verbindlichkeit. Mir hat es immer Halt gegeben, beten zu können und darauf zu vertrauen, dass mir geholfen wird. Meine Eltern sprechen jeden Morgen ein Gebet für mich und meine Schwester - das macht mich dankbar. Ich fühle mich gesegnet.

Als Sie sich beruflich für die Finanzwelt entschieden, dachten Sie daran, ob Ihre Arbeit mit Ihrem Glauben kollidieren könnte?

Nein, damals nicht. Das kam erst viel später, in der großen Vertrauenskrise Banken und Bankern gegenüber.

“Meine Eltern sprechen jeden Morgen ein Gebet für mich. Ich fühle mich gesegnet.”

- Halvorsen über ihren Glauben

Also in den Zeiten der Finanzkrise ab 2008?

Es begann schon etwas früher. Gefühlt gerieten damals die Werte des, wie man in Hamburg sagt, »ehrbaren Kaufmanns« in Vergessenheit. Es ging immer stärker darum, noch mehr zu verdienen. Ich benutze nicht gern das Wort Gier, aber das war es wohl. Es gab einen sehr starken Verkaufsdruck - und dann verkauft man als Mitarbeiter auch, wenige hatten den Mut zu sagen, da mache ich nicht mit. Ich hatte ihn auch nicht. Aber es hat sich für mich nicht richtig angefühlt.

War das der erste offensichtliche Widerspruch zu Ihrem Glauben? 

Ja, und ich habe ihn dann so gelöst, dass ich die Großbank verlassen habe und zu einer Privatbank gewechselt bin - ich hoffte, dass dort eine objektive Beratung die Grundvoraussetzung ist. Und das hat sich glücklicherweise als richtig herausgestellt. Heute hat man aus meiner Sicht allerdings auch bei den großen Häusern umgedacht. In der ganzen Branche hat sich viel zum Guten verändert. 

Woher kam dieses Umdenken?

Zum einen durch den Gesetzgeber, durch neue Vorgaben für die Anlageberatung. Entscheidend war aber der häufig geäußerte Wunsch der Kunden nach einer gesellschaftlich verantwortlichen Kapitalanlage. Sie wird zwar in der Praxis bislang schwerpunktmäßig von institutionellen Investoren wie Pensionskassen, Versorgungswerken und Stiftungen nachgefragt, aber auch bei den Privatkunden ist ein signifikanter Bedarf festzustellen. Das Beste daran ist, dass verantwortliches Investieren keinen Renditeverzicht bedeutet.

Merkt man Ihnen Ihren Glauben im Berufsalltag an?

Ich bin gläubig, aber nicht missionarisch. Ich denke, jeder weiß, dass ich christlich bin, wegen meines Engagements beim Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer - und hoffentlich auch wegen meines Verhaltens.

Begegnen Ihnen Kollegen, die auch glauben?

Ich begegne in meinem Arbeitsumfeld vielen Kollegen und Kolleginnen, die meine Werte teilen. Einige von ihnen würden sich vielleicht eher als » hanseatisch« bezeichnen. Die Werte des »ehrbaren Kaufmanns« haben eine deutliche Nähe zu den christlichen Geboten. Es geht um Ehrlichkeit, Offenheit und die Verbindlichkeit des gesprochenen Worts. Wie gut man das beruflich leben kann, kommt natürlich auch auf die Rahmenbedingungen an. Auf die Kultur, die in einem Bankhaus herrscht. Da habe ich, Gott sei Dank, eine gute Wahl getroffen.

In Beratungsgesprächen sitzen Sie, die bekennende Christin, Kunden gegenüber, die ihre eigenen Wertvorstellungen haben. Hören Sie da manchmal auch christliche Töne heraus? 

Immer mehr. Früher hatte ich oft das Gefühl, es dreht sich nur um die Performance. Heute wird verstärkt der Wunsch geäußert: »Mein Geld soll Gutes tun.« Das zeigt sich dann in Äußerungen wie zum Beispiel: Ich will nicht in Unternehmen investieren, die die Klimaziele grob missachten.« Ich mache gerade eine Zertifizierung im Bereich »Socially Responsible Investment« - ein riesiges Themenfeld, das die Bankberatung der Zukunft prägen wird. Ich bin froh und dankbar, dass die Finanzbranche reagiert hat und es heute entsprechende Lösungen gibt. Meiner persönlichen Einstellung kommt das total entgegen.

“Die Werte des ehrbaren Kaufmanns haben eine Nähe zu den christlichen Geboten.”

- Halvorsen über ihre Moral

Lebe, denke und handle ich christlich? – Ist das eine Frage, die Sie sich immer wieder stellen?

Ja, ganz bewusst. Ich halte es da mit einem Bibelzitat, es stammt aus dem Matthäus-Evangelium: Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!« Stelle ich mir diese Frage, dann habe ich meine Antwort.

Offenheit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, diese Begriffe haben Sie schon genannt. Gibt es noch andere Glaubenswerte, die beruflich für Sie wichtig sind?

Respekt. Und letzten Endes auch Nächstenliebe: Es ist meine Aufgabe herauszufinden, was mein Gegenüber braucht. Ich muss offen sein, empathisch, ehrlich die Risiken aufzeigen. Es sind oft lange, fast freundschaftliche Beziehungen, die ich aufbaue. Manchmal sitzen trauernde Witwen vor mir, die nichts über die Geldanlagen ihrer Männer wissen. Das zuzugeben, fällt manchen schwer. Ich frage dann ganz offen: »Möchten Sie sich da hineinarbeiten?« Und dann setzen wir uns zusammen hin, mit viel Zeit.

Wie gehen Sie damit um, wenn jemand vor Ihnen sitzt und Aktien von Rüstungsunternehmen kaufen will? 

Nach dem Motto »Kriege gibt es immer ... «? Ich versuche nicht, jemanden zu bekehren, aber ich mache einen flotten Spruch: Aha. Das ist ja ganz gegen den Trend, alle wollen da raus - und Sie rein?« Einen solchen Auftrag führe ich dann beratungsfrei aus. Mein Arbeitgeber hat 2018 die UN-Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren unterzeichnet - eine Beratung in Rüstungsunternehmen ist daher für uns ausgeschlossen. 

Sie sind seit sieben Jahren beim Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer engagiert, seit Februar in einer leitenden Position. Sind die gläubigen Unternehmer die besseren?

Wenn sich Unternehmer christlichen Werten verpflich­ten, werden sie vielleicht nicht die besseren - aber doch gute Unternehmer. Das dürften dann auch ihre Mitarbeiter, Vertragspartner und vielleicht auch ihre Konkurrenten spüren. Ich denke, dass sie zum Beispiel auch Krisen mit besonderem Mut bestehen, weil sie Gott an ihrer Seite wissen.